Unterscheidung von Organisationsstruktur und Organisationssystem

Charakteristisch für eine Organisationsstruktur ist die Ablauforientierung. Das verschafft einen guten Überblick und strukturiert Abläufe. Es gibt für nahezu alles Regeln und Anweisungen mit einer teils schon zu weit gehenden Granulierung von Details. Das Streben nach Absicherung und Planbarkeit steht im Vordergrund. Nichts soll dem Zufall überlassen werden, möglichst alles kontrollierbar bleiben. Das gute Gefühl der theoretischen Absicherung wird aber zum Teil von der Überlastung durch Bürokratie unterlaufen. Zwischen Theorie und Praxis klafft oft eine große Lücke. Das hat Gründe.

Zu einer Zeit, in der jeder Abteilungsleiter seine persönliche Sekretärin hatte, Geschäftsführer und Vorstände gleich drei davon plus weiterer Assistenten, die ersten Maschinen der elektronischen Datenverarbeitung ganze Etagen beanspruchten und ein Luxusauto von Mercedes oder Porsche weniger PS hatte als heute ein gewöhnlicher Golf, war eine gut durchdachte Organisationsstruktur das Maß der Dinge. Wer kannte schon internationale Lieferkettenausfälle, die eine Produktion von E-Autos ebenso patt setzen können wie die von Verbrennern. Ein Wort wie „Cyberkriminalität“ war noch nicht erfunden. Kaum eine Firma hatte es eilig, weil ohnehin die Anzahl der Mitbewerber wie der Absatzmarkt sehr überschaubar waren. 

Man war es gewohnt und konnte es sich erlauben, in sich über zehn Jahre erstreckenden Zielen zu denken. So weit reicht heute kaum noch eine Vision. Mit dem zunehmenden Tempo der heutigen Zeit hält eine Organisationsstruktur einfach nicht mehr Schritt. Da schaffen auch neue Begriffe – z. B. „Job-Rolecard“ statt „Stellenbeschreibung“ – keine Lösung für das Problem, in weniger Zeit mehr ausrichten zu müssen und die Organisation schnell an Veränderungen anpassen zu können. 

An diesem längst eingesetzten Wendepunkt kommt das Organisationssystem als Ablösung der Organisationsstruktur zum Zuge. In einem an die Systemtheorie angelehnten Organisationssystem herrscht das Bewusstsein vor, dass alles mit allem interagiert. Ergebnisdenken wird über Ablaufdenken gestellt. Es geht zwar auch, aber nicht vordergründig um das, was getan wird. Es geht in erster Linie darum, was erreicht wird. 

Das erfordert ein ziemlich anderes Denken. Zum Beispiel das, wie rückwertiges Denken vom Ende zum Anfang helfen kann, schneller auf den Punkt zu kommen, um fokussiert Ergebnisse zu erreichen. In einem Organisationssystem stellt sich nie die Frage: „Was wollen wir tun? Es geht schon am Anfang eines Schrittes, einer Maßnahme, einer Besprechung um die Frage: „Was wollen (müssen) wir erreichen?“ Ohne vorherige Ergebnispunktierung können Aktionen schnell zeitraubend und wirkungslos werden. Dazu ein Beispiel aus dem Alltag der nicht selten zu beobachtenden Meetingrealität in Firmen. Man setzt eine Agenda mit Themen auf, plant meistens eine zu kurze Zeit, um alle Themen abzuarbeiten und verliert sich während des Meetings in Nebenthemen, die zwar interessant, auch wichtig sein mögen, aber nicht unmittelbar auf das einzahlen, um das es in der Hauptsache geht. Es fehlt der Fokus auf das brennend Wesentliche. 

Dieser Fokus fördert ein anderes Verständnis von Verantwortung. Wichtig ist zu bedenken, dass Verantwortung eine Primzahl ist, die sich nicht ohne Brüche teilen lässt. Wenn zwei für dasselbe verantwortlich sind, besteht die Gefahr, dass sich jeder nur zu 50 Prozent verantwortlich fühlt. Weil, es ist ja noch jemand „mit“-verantwortlich. Ein Trugschluss, wenn beide dasselbe denken, was aus Zeitnot gar nicht einmal abwegig ist. Zwei Unterschriften unter einem Dokumenten garantieren noch lange keine doppelt sorgsame Prüfung des Dokuments. Es kann sogar vorkommen, dass keiner von beiden den Vorgang mit der gebotenen Sorgfalt prüft. 

In einem Organisationssystem ist der Umgang mit Verantwortung ein anderer. Zunächst wird zwischen „Handlungsverantwortung“ und „Führungsverantwortung“ unterschieden. Die erstgenannte betrifft die Verantwortung für das persönliche Handeln. Bei der zweitgenannten handelt es sich um die persönliche Verantwortung dafür, dass eine andere Person so ausgewählt, instruiert und begleitet wird, dass sie ihrer Handlungsverantwortung ohne Abstriche gerecht werden kann. Die konsequente Trennung von Führungs- und Handlungsverantwortung macht das Organisationssystem sicherer als die zeitaufwendige Organisationsstruktur.

Kleine Firmen haben es leichter als große Konzerne, von einer steifen Organisationsstruktur auf ein geschmeidiges Organisationssystem umzustellen. Deshalb ist es wichtig, die gebräuchlichen Organisationsstrukturen mit ihren Vor- und Nachteilen zu kennen. Dazu mehr in Orga2.

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